Blog: Die Bike-Branche befindet sich im Zombie-Modus | Ride MTB

Blog: Die Bike-Branche befindet sich im Zombie-Modus

Jen Theodore - Unsplash

Rabattorgien? Ja, die gibt es, seit dem Signa-Untergang tummeln sich im Netz Parts mit 80 Prozent Rabatt. Und Bikes für weniger als die Hälfte der unverbindlichen Preisempfehlung oder 2 für 1-Aktionen. Die Frage, die sich dabei stellt: Wie lange geht das gut? Bluten diese Firmen komplett aus?

Zahlreichen Herstellern und Händlern steht das Wasser ob prallvollen Lagern und dümpelnder Nachfrage bis zum Hals. Die Lösung vielerorts: Nicht nur Preisnachlässe, sondern waschechte Rabattorgien. Da gibt es beim Fahrradkauf gleich noch ein zweites dazu, frei nach dem Motto: Kauf eins, bekomme zwei. Oder der Hersteller haut seine Räder mit mehr als 50 Prozent Rabatt raus, wohlgemerkt zum Saisonstart im April. Oder der Online-Shop verschleudert sein Inventar mit bis zu 80 Prozent Rabatt. 

Diese Aktionen können das Lager entlasten, und Kunden glücklich machen. Solche Rabatte kann man kurzfristig gewähren, sind auf längere Sicht aber ein sicherer Schuss ins Knie: Hier verdient niemand mehr Geld. Aber dieses braucht ein Fahrradhersteller definitiv, um Löhne zu zahlen, Rechnungen für Containertransporte zu bezahlen sowie Entwicklungs-, Test- oder Marketing-Abteilungen zu finanzieren. Und Rücklagen für Garantieleistungen und Crash-Replacements, Lagerraum für Ersatzteile und so weiter. 

Und Fahrradhändler sind genauso auf Erträge angewiesen. Denn diese zahlen Mitarbeiter, Weiterbildungen, Miete, Steuern und Versicherungen, sorgen für schöne Läden und belebte Innenstädte oder gar Quartiertreffs und nicht selten sind Shops die Stütze für die lokale Szene. 

Nun gilt es also für Hersteller und Shops die Order-Orgie der vergangenen Jahre auszubaden. Es sind viel zu viele Parts und Bikes vorhanden. Und die müssen weg, weil massiv Kapital gebunden und die Liquidität miserabel ist und die Lager bis unter die Decke voll sind. 

Doch: Bei der Käuferschaft entsteht durch das Halbieren der Verkaufspreise der Eindruck von sehr hohen Margen im Fahrradgeschäft. Wenn ein durchschnittlicher Bikeshop ständig die Fahrräder zur Hälfte der Unverbindlichen Preisempfehlung verkauft, ist dieser innert Kürze in der Verlustzone und der Konkurs greifbar. So viel sei gesagt: Die Margen im Fachhandel auf Fahrrädern liegen sehr deutlich unter den Rabatten, die derzeit kursieren. On the long run ist die aktuelle Rabattorgie schlicht ruinös. Einige Markteilnehmer lassen die Hosen unangenehm weit runter, schaden so der Branche und werden trotz kurzfristigem Geschäftsankurbeln via Rabatt dennoch von der Bildfläche verschwinden. 

Die schlauste Reaktion auf die Situation wäre gewesen: Das Nachfragehoch mit Zurückhaltung geniessen. Einen kühlen Kopf bewahren, und zur Einsicht kommen, dass eine Pandemie ein Ende hat und die Kohle wieder für Urlaube ins Ausland fliesst und nicht für ein neues Mountainbike für Touren vor der Haustüre. Klar, das ist etwas viel verlangt wegen der intensiven Corona-Situation. Doch es gab solche Köpfe in der Schweizer Fahrradbranche, die bereits im Herbst 2020 die clevere und erfahrene Nase dafür hatten, dass die Nachfrage nicht ständig auf so hohem Niveau bleiben kann. Und diese Hersteller stehen jetzt auch ganz gut da, weil sie nicht à discretion Material bestellt haben. Hier sind auch keine Preisnachlässe nötig. 

Auch eine - etwas unspektakuläre, aber zukunftsgerichtete - Reaktion auf die Materialfülle wäre: Die Situation aussitzen. Klar, das muss man sich leisten können, die Stichworte wie Kapitalbindung und Zinsen sind gesetzt. Doch Branchenkenner warnen bereits. Weil seit einiger Zeit sehr viele Maschinen für Fahrradmaterial still stehen, stehe der nächste Materialengpass bereits bevor. Und dann wären einige Hersteller vielleicht froh, sie hätten die Lager nicht zu ruinösen Preisen geleert.