Bosch sagt: Boom beim E-Mountainbike ist nachhaltig | Ride MTB

Bosch sagt: Boom beim E-Mountainbike ist nachhaltig

Vor fünf Jahren gab Bosch das Debut auf der Eurobike mit einem Antriebssystems für E-Bikes, heute ist rund jedes vierte Elektrovelo in Europa mit einem Antrieb der Schwaben ausgestattet. Für die Saison 2016 führt Bosch erstmals ein System spezifisch für Mountainbikes ein. Claus Fleischer, der den Produktbereich E-Bike Systems bei Bosch leitet, erläutert die Hintergründe und Strategien dazu.

Claus Fleischer, fahren Sie als Leiter der E-Bike-Sparte von Bosch auch privat Rad?
Seit 1990 fahre ich Mountainbike und habe damit mehrere Alpenüberquerungen und 24 Stunden-Rennen absolviert. Ich besitze Rennräder, Mountainbikes und E-Mountainbikes.

Und welches Rad fahren Sie am liebsten?
Die Entscheidung am Wochenende fällt mir echt schwer. Ganz ehrlich, das E-Mountainbike ist einfach cooler und macht mehr Spass. Ich bin letzten Winter nur E-Mountainbike gefahren. Weil ich damit Sachen fahren kann, die mit dem normalen Bike nicht zu schaffen sind. Vor allem bei widrigen Witterungsbedingungen – die Uphills mit dem E-Mountainbike machen da unheimlich viel Spass.

Wie schätzen Sie kommerziell die Chancen des E-Mountainbikes ein?
Das E-Mountainbike ist ein neues Wachstumssegment in der Kategorie E-Bike und ebenso ein Wachstumssegment im Bereich Mountainbike. Es ergänzt beide Marktsegmente. In aktuellen Zahlen lässt es sich noch schwer beziffern. Unsere Beobachtungen und Gespräche mit Branchenkollegen zeigen, dass das E-Mountainbike im ganzen E-Bike-Bereich am stärksten wächst. Das Wachstum ist deutlich stärker als im Touring-, Trekking- oder Urban-Segement. Wir haben einen richtigen Boom zum E-Mountainbike. Diese Bewegung wird zudem nachhaltig sein. Das ist kein Hype, die Nachfrage nach diesen Bikes wird Bestand haben.

Haben Sie Anhaltspunkte wie sich der E-Mountainbike-Trend verkaufsmässig auswirkt?
Vor zwei Jahren hatten wir einen Lieferanteil von 60 Prozent Gepäckträgerakkus und 40 Prozent Rahmenakkus. Dieses Verhältnis hat sich heute schon gedreht, wir liefern jetzt 60 Prozent Batterien fürs Unterrohr und 40 Prozent Gepäckträgerbatterien. Der klassische Elektro-Tiefeinsteiger – das E-City- und Touren-Fahrrad – ist immer noch ein grosses Segment. Aber wir sehen jetzt, dass die E-Bikes deutlich sportiver werden. Wir versuchen zur Eurobike hin von den Herstellern genauere Zahlen zu erhalten. Wir verkaufen ja die Antriebe und die Batterien, aber ich kann nicht ermitteln, ob der Hersteller daraus ein Hardtail-, ein Fullsuspension- oder ein Trekking-Rad baut. Bis zum Ride Mountainbike-Kongress in Chur wollen wir genauere Zahlen zum E-Mountainbike-Trend nachreichen.

Wenn das E-Mountainbike boomt, birgt diese Entwicklung auch Gefahren?
Es gibt Skeptiker, die versuchen, das Mountainbike zu kritisieren, und diese werden auch das E-Mountainbike kritisieren. Uns geht es um das Thema Trail-Etikette und Benimmregeln. Die Trail-Regeln – wie beispielsweise von IMBA oder DIMB – müssen auch für E-Mountainbiker gelten. Kurz gesagt: Es gehören Respekt und Toleranz auf die Trails. Ein zweiter wichtiger Aspekt sind Fahrtechniktrainings. Denn mit den E-Mountainbikes kommen mehr Leute in grössere Höhen, und die müssen auch wieder sicher runter. Dazu setzen wir auf Fahrtechniktrainer wie Stefan Schlie und pflegen ein Netzwerk mit Fahrtechnikschulen. In unserem neuen Video Uphill-Flow 2 werden wir zeigen, wie wichtig Respekt, Toleranz und Fahrtechniktraining sind, um sicher und mit Spass auf dem E-Mountainbike die Trails zu befahren.

Wie schaut das E-Mountainbike in Zukunft aus: Werden Motoren kleiner, werden Batterien kleiner?
Die Akkutechnik – sei es bei Laptops, Elektrowerkzeug oder Autobatterien – entwickelt sich im Schnitt zwischen 5 und 10 Prozent pro Jahr weiter. Diese Angaben sind ein Daumenwert und bedeuten, dass die Energiedichte höher wird. Bei gleicher Grösse der Batterie kann man eine höhere Reichweite erzielen. Oder bei gleicher Reichweite die Batterie kleiner machen. Diese Prozente jedes Jahr in der Produktentwicklung mitzunehmen, lohnt sich jedoch nicht. Also wartet man zwei bis drei Jahre bis genügend Fortschritt zusammen ist, und dann bringt man die nächste Generation. Das haben wir jetzt mit dem 500-Wattstunden-Akku gemacht. Da bringen wir 25 Prozent mehr Reichweite rein bei nur vier Prozent mehr Gewicht. Der bisherige Akku wiegt 2.5 Kilogramm, der neue wiegt 100 Gram mehr und ist genauso gross, ist einbau- und abwärtskompatibel und kann mit dem gleichen Ladegerät betrieben werden.

Wird ein Akku mal so richtig klein und passt in die Satteltasche?
Die Batteriegrösse ist nicht nur abhängig vom technischen Fortschritt. Es spielt auch eine Rolle, wieviel Strom man zieht, um den Antrieb zu speisen und wie gut der Wirkungsgrad des Antriebs ist, um den Strom wirklich in Drehmoment umzuwandeln und nicht in Wärme. Es stellt sich die Frage, wieviel elektrische Leistung der Fahrer erwartet. Heute bietet unser Performance CX Line-Motor 300 Prozent Tretunterstützung. Wenn man diesen Grad auf 200 Prozent zurücknimmt, ist das ein Drittel weniger. Dann könnte man die Batterie auch einen Drittel kleiner machen.

Wieviel Leistung für ein E-Mountainbike ist sinnvoll?
Aktuell läuft immer noch der Leistungswettbewerb, es geht ein echtes PS-Posing ab – und das muss irgendwann an eine natürliche Grenze stossen. Denn mehr Leistung als 250 Watt, das ist unsere Überzeugung, braucht der Fahrer nicht. Durch die gesetzliche Geschwindigkeitsbegrenzung sind wir limitiert. Schliesslich braucht es gutes Drehmoment, um zu beschleunigen. Man will ja Fahrradfahren und kein Motocross.

Wie schauen Mountainbikes in 20 Jahren aus?
Das ist meine Prognose: In 20 Jahren wird es drei Arten von Mountainbikes geben. Die klassischen Mountainbikes ohne E-Antrieb, wie wir sie heute haben – rein mechanisch. Dann E-Mountainbikes mit satter Tretunterstützung und toller Spitzenleistung wie heute mit unserem Topmotor. Und dazwischen eine Kategorie mit weniger Leistung und einem entsprechend kleinem Akku. Bei diesem Mittelding kommt man bei Gewicht und Grösse des Akkus und Antriebs runter. Das geht aber nur, wenn der Fahrradfahrer sagt, dann reicht mir auch ein bisschen weniger Leistung.

Ändert sich bis dann das Aussehen der motorisierten Bikes?
Wenn man über einen Generationensprung nachdenkt: Könnte man das Schalten am Hinterrad nach vorne verlegen, wie beim Pinion-Getriebe und mit dem E-Motor verheiraten? Das schauen sich viele an in der Branche, wir beobachten das auch. Man nimmt dann aber die Technik einer zwei Kilogramm schweren Hinterradnabe und verheiratet das mit einem 3.5 Kilogramm schweren E-Antrieb. Das gibt einen 5.5-Kilogramm-Block, den man im Rahmen unterbringen muss, das Ganze wird hoch komplex. Wann und ob das Marktreife haben wird, kann ich heute nicht sagen.

Haben die Fahrradhändler den E-Bike Trend im Griff?
Vor fünf Jahren hatten die Fahrradhändler die Entwicklung fast verschlafen, aber sie haben schnell aufgeholt. Wenn ich Europa vergleiche mit den USA: Dort wird der Trend aktuell verpasst und die Händler sind mindestens fünf Jahre hintendrein. Die kleinen Fahrradhändler müssen aufpassen, dass sie nicht von den Grossen links und rechts überholt werden. Wenn ich mir Sorgen mache, dann vielleicht um die kleinen, familiengeführten Fachgeschäfte. Um die Grossen mit Vollsortiment mache ich mir keine Gedanken, die können das stemmen. Aber bei Kapitalbedarf, Ausbildung, Werkstattausstattung, Auswahl – da tun sich viele kleine Händler schwer. Wir sehen dort Hemmschwellen, in Computer und Diagnosegeräte zu investieren. Oder, wenn kein Nachfolger in Sicht ist, überlegt sich ein Händler im Endfünfziger-Alter, ob er sich das mit der Elektronik noch antun soll.

Bleibt das E-Bike im Velofachhandel oder sehen Sie Tendenzen, dass andere Anbieter wie die Automobilbranche in den Verkauf von E-Bikes einsteigen?
Das Marktwachstum und die Nachfrage bei den Kunden sind da, dann stellt sich schon die Frage: Springen andere Vertriebskanäle an? Ich kenne mit über 17 Jahren Arbeitserfahrung in der Automobilbranche die Industrie gut und wie diese tickt. Bisher hat die Autobranche das Bike bloss zu Marketing-Zwecken genutzt, um die Automarke über das Fahrrad in das Bewusstsein der Kunden zu bringen. Die Autowerkstätten tun sich extrem schwer mit dem Service für ein Fahrrad, weil sie das Fahrrad nicht verstehen, weil sie kein Werkzeug, keine Ersatzteile haben. Das ist eine riesige Eintrittsbarriere. Deshalb glaube ich, dass sich die Autobranche das Fahrrad nicht antut.

Wo sehen Sie weiter markante Unterschiede zwischen dem Automobil- und Fahrradmarkt?
Ganz klar unterscheiden sich die Geschwindigkeit, die Agilität. Wenn man Elektromobilität vergleicht, ist es beeindruckend, wie schnell die Fahrradbranche das Elektrofahrrad aufgenommen, die Technologie in gute Produkte umgesetzt und Begeisterung bei den Fahrradfahrern erzeugt hat.
Die Skepsis war da, aber die Fahrradbranche hat den E-Trend sehr schnell aufgenommen. In der Automobilbranche dauert das vergleichsweise lange – Faktor drei bis vier. Das liegt auch an dem Verhältnis Aufwand zu Nutzen und Risiko. Denn Elektromobilität hat die Schwierigkeit, dass die Batterien einfach zu gross, zu schwer und zu teuer sind. Deswegen sind die E-Autos auch nicht attraktiv im Moment. Beim Fahrrad ist in der Elektromobilität die Batterie klein und erschwinglich, der Fahrspass ist ungleich höher.
Die Autobranche hat viel längere Entwicklungszeiten, viel längere Produktzyklen, deswegen ist sie einfach in sich langsamer, behäbiger, teurer und nicht so agil. Ganz ehrlich: Die Autobranche ist prozesslastig und bürokratisch. Ich weiss, man sagt, der Velobranche würde mehr Automotive-Touch und mehr Professionalität gut tun. Wenn die Fahrradindustrie aber mehr auf automotive machen würde, dann wäre sie auch langsamer und teurer.

Dann musste Bosch bei der Markteinführung des E-Antriebs zwischen zwei Branchen synchronisieren?
Es ist eine Stärke von Bosch E-Bike-Systems, dass wir automotive Knowhow über Prozesse, Standards und Qualität mitbringen und uns gleichwohl voll auf die Fahrradbranche konzentrieren dürfen. Wir haben hier ein Unternehmen im Unternehmen gegründet, das ist eine eigenständige Geschäftseinheit innerhalb der Bosch-Gruppe. Wir können uns voll auf diesen Modelljahreszyklus einlassen und sind voll auf die Wertschöpfungsketten der Bike-Industrie eingestellt – und das zahlt sich jetzt auch aus.

Wie ist die E-Bike-Sparte infrastrukturell in die Bosch-Gruppe eingegliedert?
Wir haben unsere eigenen Produktionslinien im Werk in Miskolc in Ungarn, zwei Stunden nordöstlich von Budapest. Dort baut Bosch als Automobilzulieferer Motoren für Starter, Servolenkungen und Scheibenwischer. Heute sind wir in der E-Bike-Sparte zu klein, um ein eigenes Werk zu betreiben.

Welchen Anteil am Bosch-Gesamtumsatz steuert der Bereich E-Bike-Systems bei?
Die ganze Bosch-Gruppe macht 50 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Wir haben die Politik, dass die einzelnen Geschäftsbereiche die Umsatzzahlen nicht kommunizieren dürfen. Aber so viel kann ich sagen: Wir sind ein Rundungsfehler in den 50 Milliarden.